Mehr soziale Rechte für LKW-Fahrer in der EU – Bundesrat muss rasch nachziehen

Das EU-Parlament will der Ausbeutung von LKW-Fahrerinnen und -Fahrern in der EU Grenzen setzen. Es hat am Donnerstag in Brüssel höhere Löhne für Fahrerinnen und Fahrer bei internationalen Transporten durchgesetzt. Künftig sollen Fahrer im internationalen Transport im Land des Auf- und Ablads den gleichen Lohn wie die einheimischen Fahrer erhalten, gleichgültig wo sie angestellt sind. Bislang galt ausgerechnet im grenzüberschreitenden Transport das Herkunftslandprinzip. Mit ihrem Beschluss schieben die Abgeordneten dem Lohndumping bei LKW-Fahrern und -Fahrerinnen einen Riegel.

«Der Beschluss des EU-Parlaments ist eine gute Nachricht für den Schweizer Lohnschutz, weil er den Lohnschutz in ganz Europa stärkt», sagt SEV-Präsident Giorgio Tuti. Gemäss dem Beschluss soll künftig auch für Fahrerinnen und Fahrer die Regel gelten, dass im Land des Auf- und Ablads bei der Lohnhöhe der Ort der erbrachten Leistung massgebend sein soll. Ausgerechnet bei den Fuhrleuten hatte in der EU für die Höhe des Lohns bislang noch das Herkunftslandprinzip gegolten. Entscheidend für die Lohnhöhe war, in welchem Land jemand angestellt ist. Dies führt vor allem in Osteuropa zu extremem Lohndumping.

Vorausgesetzt, sie laden zum Beispiel in Deutschland auf- oder ab, sollen Fuhrleute bei internationalen Transporten den deutschen Mindestlohn erhalten, in Frankreich den französischen oder in Schweden den schwedischen usw. Fahren sie nur durch ein Land, erhalten sie aber weiter den Lohn aus ihrem Herkunftsland. Um die neue Regel durchzusetzen, müssen die  EU-Mitgliedstaaten spätestens  fünf Jahre nach Inkrafttreten des Mobilitätspaketes  die Transportfirmen auf digitale Fahrtenschreiber* verpflichten, rund zehn Jahre früher als geplant.

Lohndumping an der Tagesordnung

Das EU-Parlament verabschiedete zudem verschärfte Regeln zur Kabotage. Auch bei den Fahrt- und Ruhezeiten setzte sich die Europäische Transportarbeiter-Föderation ETF weitgehend durch. Dabei kam es zu einem Kompromiss zwischen den Sozialdemokraten/Grünen und den Konservativen und Liberalen Fraktionen im Parlament. Demnach müssen die Fahrerinnen und Fahrer spätestens nach 4 Wochen nach Hause zurückkehren können.

Die Mitgliedergewerkschaften der ETF hatten zuvor jahrelang zahlreiche Fälle von Missbrauch und Lohndumping aufgedeckt. Gerade LKW-Fahrer aus Osteuropa waren unter unwürdigen Bedingungen monatelang ohne Unterbruch** unterwegs.

Der gewerkschaftliche Druck zeigte Wirkung: Die Abgeordneten haben Briefkastenfirmen, die gerade in Osteuropa Fahrer und Fahrerinnen zu Tiefstlöhnen anheuerten und dann in Westeuropa ausbeuteten***, verboten. «Endlich werden wenigstens die schlimmsten Praktiken untersagt. Doch bis sich dank der Verbote die Arbeits- und Lebensbedingungen vieler Fahrerinnen und Fahrer wirklich verbessern, ist noch ein weiter Weg», sagt Roman Künzler, Verantwortlicher Transport und Logistik  bei der Unia und Delegierter im ETF.

Bund muss handeln

Damit in der Schweiz der Lohnschutz gewährleistet werden kann – auch für entsandte Fahrer und Fahrerinnen – braucht es einen allgemeinverbindlichen Gesamtarbeit«Heute wird es von vielen Arbeitgebern systematisch unterlaufen.»

Auch das Nacht- und Sonntagsarbeitsverbot, das in der Chauffeurverordnung (ARV1) verankert ist, wird von den Arbeitgebern in grossem Stil umgangen: Immer mehr Fuhr- und Kurierunternehmen setzen Fahrzeuge ein, die unter die Gewichtslimite von 3,5 Tonnen  fallen. Nur Fahrer und Fahrerinnen von Lastwagen über 3,5 Tonnen fallen unter die Chauffeurverordnung. Für Transportfahrzeuge, die leichter sind, gelten dagegen keine Fahrt- und Ruhezeitenregeln.

Chauffeurverordnung anpassen

Auf diese Entwicklung hat das EU-Parlament jetzt reagiert: Es senkt die Limite der Fahrzeuge auf 2,4 Tonnen. Damit fallen Fahrer und Fahrerinnen von Kleinlastern und grossen Lieferwagen neu auch unter die Fahrt- und Ruhezeitenregelung. Diese gilt europaweit, auch in der Schweiz. «FAIRLOG fordert den Bundesrat deshalb auf, die neue Gewichtslimite in die Chauffeurverordnung aufzunehmen», fordert Roman Künzler, Verantwortlicher Transport und Logistik, Unia.

«Mit dem Erfolg im EU-Parlament haben die europäischen Gewerkschaften im Kampf gegen Lohndumping in der Transport- und Logistikbranche erste Fortschritte erzielt. Nun muss eine rasche und strikte Umsetzung schnell Resultate zeitigen», sagt SEV-Präsident Giorgio Tuti.

Der Bundesrat ist unter Zugzwang. Das EU-Parlament hat im Rahmen des Mobilitätspakets beschlossen, die Mitgliedstaaten müssten die Entsendegesetze in bilateralen Verträgen mit Drittstaaten einbauen, wenn damit deren Firmen der Zutritt zum Europäischen Binnenmarkt gewährt werde. Sobald der EU-Ministerrat die Beschlüsse des Parlaments umsetzt, muss die Schweiz nachziehen.

*Die Verordnung zu den digitalen Fahrtenschreibern hat der Bundesrat bereits im November 2018 beschlossen für neue LKW und Cars, nicht jedoch für alte Fahrzeuge.
https://www.astra.admin.ch/astra/de/home/dokumentation/medienmitteilungen/anzeige-meldungen.msg-id-73029.html

**Das Elend auf den Parkplätzen Europas haben jüngst die Journalistin Susan Boos und der Filmer und Fotograf Fabian Biasio in der multimedialen Web-Reportage „Leben in der Kabine“ aufgezeigt, die auch die Hintergründe im Strassengütertransport Europas ausleuchtet. Die Reportage wurde  von der Alpeninitiative angestossen und mittels Crowdfunding finanziert. FAIRLOG hat das Projekt unterstützt.
https://reportage.alpeninitiative.ch/

***Philippinische LKW-Fahrer wurden über Monate in Europa ausgebeutet (Labour Net Germany mit Links zu div. Artikeln):
http://www.labournet.de/internationales/daenemark/arbeitskaempfe-daenemark/philippinische-lkw-fahrer-wurden-ueber-monate-europa-ausgebeutet/

 

FAIRLOG ist die Gewerkschaftsallianz für Strassengütertransport und Logistik der Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV, von syndicom, der Gewerkschaft Medien und Kommunikation, und der Unia. Die Unia und der SEV sind Mitglied der Europäischen Transportarbeiter-Föderation ETF.